Kapitel 4
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Ambravus bewegte langsam seine Glieder, während sein Verstand aus den tiefen Wirren seines Traums erwachte. Er fühle das weiche Kissen unter seinem Gesicht und den Samt der Matratze während langsam seine Beine und seine Arme an dem weichen Stoff entlang glitten als er sich erwachend in dem feinen Tuch rekelte.
Er rollte sich auf den Rücken und öffnete die Augen. Sein Blick fing die kunstvoll gefertigten Figuren aus Mamor ein, die eine Dynastie von Helden darstellte und die Decke seines weitläufigen Schlafzimmers zierten. Dann glitt sein Blick nach rechts und blieb auf dem zartem Gesicht der Frau liegen, die mit ihm das Bett geteilt hatte.
Sie war eine exotische Schönheit, war anmutig von Gestalt, eine kastanienfarbige, feine Haut und ein Gesicht von malerischen Zügen, streng Geschnitten mit markanten Wangenknochen und volle rosafarbene Lippen, die nach außen hin leicht in ein dunkles Lila übergingen. Ihre langen, schwarzen und leicht gewellten Haare gingen ihr fast bis zum nackten Po und liefen entlang ihrer weiblichen Rundungen, bis sie schließlich kurz vor den Schenkeln aufhörten und dabei halb ihren straffen Bauch verdeckten. Mit einem Lächeln erinnerte er sich an die vergangene Nacht, in der sie sich beide fast bis zur Ohnmacht geliebt hat, ein Feuerwerk der puren Lust.
Noch eine kurze Weile blieb er so neben ihr liegen, blickte in ihr friedliches, schlafendes Gesicht, das kaum verraten konnte, wie wild und leidenschaftlich die Züge dieser Frau sein konnten. Ihre schwarzen Augen, die ihn vor einigen Stunden noch mit einem gierigen Feuer begegnet waren, lagen nun verborgen unter den geschlossenen Liedern, die mit langen schwarzen Wimpern geziert waren. Er konnte ihr Alter schlecht einschätzen, doch ihr eher jugendlicher Körper, ihre makellose Haut und ihre wilde Art ließen ihn auf ein Alter schätzen, das knapp über dem Erreichen des Erwachsenseins lag.
Schließlich raffte sich Ambravus auf und landete mit einem beherzten Satz neben dem Bett. Einer neuer Tag hatte begonnen, ein Tag voller neuer Chancen und möglicher Freuden. Diese sollten nicht allzu lange auf ihn warten müssen. Ein weiteres Mal streckte er sich ausgebiegig, ließ die Gelenke knacken und lockerte seine Muskeln. Er schritt durch den seidenen Vorhang, der den leicht erhöhten Schlafbereich vom Rest des Zimmers trennte, trat die Stufe herab und schaute nun in den weiten Raum, den er sein Arbeitszimmer nannte. Ein gigantischer Schreibtisch aus Ahornholz stand zentriert in der Mitte des Raumes. Dahinter befand sich der thronartige Stuhl aus demselben Materlial, der allein für ihn vorgesehen war. Auf der anderen Seite des Tisches führte ein Teppisch aus feinstem Merianderstoff zu einer weiten Holztür mit schlichtem aber goldenem Griff und ebenso schlichten aber kunstvollen, symmetrischen Schnitzereien entlang des Rahmen.
Auf dieser Seite des Tisches standen auch drei Stühle aus Bambusgeflecht und mit dicken Polsterungen aus angenehmen Stoff, in einem halbkreis um den Arbeitstisch drappiert. Wenn mehr Gäste kamen, dann brachten Pascha sogleich Weitere Sitzgelegenheiten, doch Ambravus bevorzugte für Geschäftliches und Persöhnliches viel mehr einen kleinen Kreis aus Vertrauten. Zu großen Feierlichkeiten war das wahrlich etwas ganz anderes, doch während dieser sollte man seinem Geschmack nach grundsätzlich keine Sessel und Stühle nutzen, sondern den Raum frei räumen, um ihn als Tanzfläche zu nutzen. Mit einem Schmunzeln erinnerte er sich an das letzte Gelage, das seinen ganzen Palais in ein einziges Irrenhaus verwandelt hatte.
An der rechten Seite des Raumes befand sich ein weiterer Seidenvorhang, der den Zutritt in sein persöhnliches Bad ermöglichte. Auf der linken Seite stand ein Klavier, geschaffen aus demselben Holz wie schon Tisch und Stuhl. Sein schlichtes Äußeres täuschte, denn es war von einem der kunstfertigsten Klavierkonstrukteure in ganz Aurien gefertigt.
An der Wand neben dem Klavier war eine riesige Glasfront angebracht, die es ihm ermöglichte beim Spiel die Millionenstadt unter ihm zu betrachten oder zu gegeber Zeit sogar mit seiner eigenen Komponie den Sonnenuntergang zu begleiten. Den Frauen, die er regelmäßig hierhin einlud, hatte dies bisher allen recht außerordentlich gut gefallen. Auch seine exotische Gendalia hatte bei diesem romantischen Zauber nicht widerstehen können. Er hatte schon ein viel Glück gehabt in seinem bisherigen Leben.
Zuletzt gab es, vom ihm aus gesehen über die rechte Schulter noch eine torgroße Öffnung im Mamor die hinaus führte auf seinen weiten Balkon, der an der Ecke der Villa angebracht war. Mit einem Lächeln ließ er sich vornüber auf den Mamorboden fallen, fing sich mit seinen beiden flachen Händen ab und begann den Tag mit den gewohnheitsmäßigen hundert Liegestützen.
Sie dienten ihm dazu wach zu werden, seinen Organismus und seinen Geist anzukurbeln und zuletzt auch schon gleich nach Beginn des Tages seine Willenskraft auf die Probe zu stellen. Als er die letzten Liegestütze mit leicht zitternden Armen und schnell gehendem Atem beendet hatte, hiefte er sich zurück auf die Beine und lockerte ein letztes Mal seine Glieder. Dann durchstreifte er beherzten Schrittes den Raum, um den Vorhang zu erreichen, der ihn zu seinem Badezimmer führen würde.
Mit seinen beiden Händen druchtrennte er die seidene Pforte und betrat einen kunstvollen Raum, der komplett aus Mamor geschaffen war. Nur ihm gegenüber ragte ein großer Felsen aus der Wand, der leicht türkis schimmerte, an den Stellen, an dem der wertvolle innere Stein, namens Ragnium, an die Oberfläche lugte. Der Felsbrocken, der im Durchmesser fast fünf Meter maß und sich vom Boden bis zur Decke erhob, war als Ganzes unter enormen Arbeitsaufwand aus dem Gebirge gehauen worden und hier allein für ihn den Kriegsminister Ambravus Grazterius in sein privates Bad geschaffen worden. Dann hatten sich kundige Architekten daran gemacht ein Wassersystem in den Felsen zu meißeln, sodass es nun den Anschein hatte, als würde ein kleiner Bach aus dem Felsen entspringen, der glitzernd, lebensfroh über den Gestein sprang und bis zur Mitte des Raumes lief, wo er in einem kreisrunden Loch im Marmor wieder verschwand.
Dort, wo das Wasser dem Felsen entsprang, war eine kleine Marmorhaube angebracht, die wiederum per Strick an einem marmoren Griffel an der Decke befestigt war. Von dort aus reichte die andere Hälfte des Strickes hinab vor den Stein, wo er ungefähr auf Brusthöhe in der Luft hing und dort in einen lederbeschlagenen Henkel endete.
Ambravus ließ die kurze Tunika, die allein seine Lenden umhüllte, auf den Boden fallen und ging zügigen Schrittes hinüber zu dem sanft türkis leuchtenden Felsen. Im großen Spiegel, der zu seiner Linken in die Mamorwand eingelassen war, konnte er verfolgen, wie sich ein großer Schwall an Wasser aus der Öffnung im Felsen über ihn ergoss, als er an dem Henkel zog und so die Haube anhob.
Das Wasser war eiskalt. Zuerst spühlte es aus seinem Kopf alle übrig gebliebenen Reste der Nacht und dann von seinem Oberkörper hinab bis zu seinen Füßen alle Müdigkeit, die sich noch tief in den Knochen versteckt hatte.
Aus seinem Mund kam ein jubelierender Schrei, der in ein lebensfrohes Lachen überging. Der Tag war bereit erobert zu werden! „Heute und immer werde ich alles erreichen können!“
Fröhlichen Gemütes rief er seine Versprechungen hinein in den beginnenden Tag. Es war eine Art von Ritual für ihn geworden, um sich mental auf den optimalen Ausgang des Tages einzustellen. Ein siegesicheres Lächeln lag auf seinen Lippen. Es gab kaum einen Menschen auf dieser Welt, der so erfolgreich, so charismatisch, so lebendig, so zielstrebig und gleichzeitig so talentiert in der Führung anderer und zuletzt selbst so stark mit dem Schwert war wie er. Die ganze Welt lag ihm zu Füßen. Das einzige was mich wohl zu Fall bringen könnte, ist meine Selbstüberschätzung, dachte er mit einem ironischen Lächeln. Dann stimmte er eine Ballade eines alten Helden an, der einen Tag und eine Nacht durch Eis und Schneeregen schreitete, um seine Familie vor dem einfallenden Heer zu warnen.
Einst, da war ein Mann
den viel ich besang
drum hört euch nun an
warum er liebe empfand
Sein Fleisch war geschunden
sein körper voll Wunden
fiel so häufig in den Schlamm
doch er immer wieder stand
so lief er endlos lang
die Kälte ihm in den Körper drang
in tiefer dunkler Nacht
der Tod ihm in die Ohren lacht
Doch er war getrieben
aus nur einem Grund er war
zu finden seine Lieben
zu warnen vor der Gefahr
Die Horde ihm auf den Fersen
nur einen tag er vorraus
wollte sterben auf dem Felsen
noch endlos weit sein Lauf
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Doch eines trieb ihn weit
durch Tag und durch Nacht
trieb ihn trotz seinem leid
die Kerze die am Fenster wacht
das Lachen des Kleinen
die Arme seiner Liebsten
nie sollten sie weinen
solang er…
Die letzten Worte blieben ihm im Hals stecken. Langsam ließ er den Strick wieder nach oben gleiten und lauschte hinaus in die weiten seiner Gemächer. Tatsächlich war dort ein stetiges Hämmern gegen eine Türe und ein gedämpfte Stimme, der ein panischer Ton inne lag.
Er stoppte den kleinen Bach, indem er seine Hände hinein hielt und so sich das Wasser kurz in diesen sammelte. Dadurch verhinderte er das Plätschern auf dem Boden und erzeugte eine kurze Stille. Die Stimme seines ersten Pachers, Fleorieder, dringte nun leise an sein Ohr:
„Herr! … Bitte öffne die Türe! Es ist ein Notfall! Ihre Anwesenheit wird augenblicklich benötigt!“ Noch bevor das Wasser wieder Boden berührte war Ambravus schon am samtenden Vorhang, der in sein Hauptzimmer führte. Die Stimme wurde nun immer lauter. Es schien eine sehr ernsthafte Situation zu sein, Fleorieder war selten so aufgebracht.
Kaum zwei Sekunden war der Kriegsminister, immer noch unbekleidet, an der Türe und riss sie auf. Der in die Jahre gekommene Fleorieder stand mit zum Klopfen erhobener Faust und roten Gesicht an der Türe. Geflissen ignorierte er die Nacktheit seines Meisters und senkte nicht für den Bruchteil einer Sekunde seinen Blick.
Stattdessen begann es aus ihm heraus zu sprudeln: „Ein Trupp schwer bewaffneter Rebellen hat einen großen Aufruhr verursacht. Es wurden bereits dutzende Häuser in Flammen gesetzt. Sie kamen aus dem Nichts, zum Anbruch des Morgens und haben es offensichtlich auf das Distrikt der Ahnen abgesehen.“
Das war das Viertel der Reichen und der Politiker. Ambravus Villa befand sich nicht weit vom Zentrum. „Es dürfte nur noch wenige Minuten dauern, bis sie hier angelangt sind.“ Noch während Fleorieder sprach hatte er schon begonnen Ambravus in sein Kriegsgewand zu kleiden. Die hautenge lederne Tunika, die an den wichtigsten Stellen mit edlen Metallen ausgebessert war, war auf seinen athletischen und muskolösen Körper zurecht geschnitten.
Ambravus bevorzugte Geschwindigkeit gegenüber einer nahtlosen Panzerung und dieses Gewand ermöglichte ihm eine enorme Geschwindigkeit und Präzision, mit denen er mühelosen jedem Angriff ausweichen oder ihn kontern konnte. Die Farben waren meist in einem schlichten braun gehalten, burgunderrote Muster, die skizzierte Engel und Drachen im Kampf zeigten, waren neben der goldenen Broschette über seinem Herzen, die seinen Rang als stärksten Krieger der bekannten Welt darstellte, die einzigen Verzierungen.
Es gefiel ihm nicht sich an allen Stellen mit bunten Farben und edlen Metallen zu schmücken, wie es manche Lords zu tun pflegten. Sobald er das Schlachtfeld betrat, war das Blut seiner Feinde, das über und über seine Schwerter und sein Gewand tränkte Zeichen genug für seinen Status.
Zuletzt gab ihm Fleorieder seinen Schwertgürtel, an dem seine beiden Klingen hingen, Naimén und Gaibén. Es waren kunstvolle Schwerter, die allein für ihn von den besten Schmieden der Welt geschmiedet worden waren. Die Länge der Klingen war mit ungefähr einem Schritt recht kurz und die Länge des Lederbeschlagenen Griffes mit zwei Handbreit unverhältnismäßig lang.
Dazu kam das sie mit ihrem leichten Schwung und ihrer dicken Breite beinahe an Metzgermesser erinnerten. Doch jeder der den Beserker im Blutrausch auf dem Schlachtfeld hatte beobachten können, wagte es nicht ihre Effiziens anzuzweifeln.
Ambravus, nun vollkommen angekleidet, ging mit fliegenden Schritt hinüber zur Glasfront über dem Klavier und stieß sie mit seinen Händen auf.
Dann lehnte er sich hinaus in die frische und doch bereits mit markanten Düften geschwängerte Luft eines Morgens in einer Millionenstadt. Sogleich drangen Stimmen, Schreie, Fluchen und Wimmern zu ihm hinauf. In der weiten Straße unter ihm tummelten sich in schwarze Gewänder vermummte Gestalten, die sich mit Schwertern, Schildern, Lanzen, Sensen oder orientalischen Morgensternen einen Weg durch die breite Allee bahnten. Dies waren Morgensterne an deren Ende anstelle einer Nagelbesetzten Keule, eiserne Riemen angebracht waren, an denen wiederum gekrümmte, beidseitig geschärfte, fingerlange Klingen hingen. Eine feige Waffe, die dem Gegner unzählige Schnittwunden zufügte und ihn ungewöhnlich schnell ausbluten ließ.
Nachdem man einmal getroffen war, war es es eine Frage von wenigen Minuten, bis man vom Blutverlust zusammen brach. Die Waffe war besonders effektiv gegen ganze Rüstungen und Schilder, da irgendeine Klinge praktisch immer ein Weg durch die Platten fand, oder die Kette sich mühelos um einen Schild winden konnte und die Klingen sich dann in den Schildarm gruben.
„Sie sind bereits hier angekommen.“ Sagte Ambravus mit sachlicher, tiefer Stimme. Er griff in sein lockiges, schwarzes Haar, das ihm bis zum Kiefer reichte und band es sich mit routinierter Bewegung nach hinten zu seinem Zopf. „Schick meine Elite hinunter, Fleorieder.“ „Herr…?!“ Mit einem starken Stoß, sprang Ambravus vom Fenstersims ab und segelte hinaus in die kühle Morgenluft.