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Kapitel 2

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Die lodernde Hitze der in Flammen stehenden Häuser brannte in seinem Gesicht. Asche wirbelte durch die Luft, drang mit jedem Atemzug in seine Lunge ein und erfüllte sie mit einem beißenden Kratzen, dass ihn zwischen Keuschhusten und Würgereiz schwanken ließ. Sein ganzer Körper schüttelte sich, als er versuchte den schädlichen, eindringen Rauch auf irgendeine Art und Weise abzuwehren, doch während er nach Luft schnappte drang nur noch mehr Rauch in seine Lunge ein.

Er ging auf die Knie und beugte sich vorüber, wollte irgendwie dieses Monster in seinem inneren heraus würgen, während sich qualvoll mehr und mehr Rauch in ihm sammelte. Durch die Schlieren des Rauches und Tränen in seinen Augen konnte Lestavi die Stadt brennen sehen. Die stolze, uralte Stadt des größten Fürsten an den weiten Hängen von Urabas, dem endlosen Gebirge. Den Platz, den er während seines jungen Lebens nie verlassen hatte, nie verlassen konnte. Seine Heimat.

 

Hinter ihm brach mit donnernden Getöse eins der alten Schräghäuser am unteren Marktplatz zusammen. Die letzten Dielen, die dem Feuer noch Widerstand geleistet hatten, knackten zusammen, wie wenn ein kleiner Junge das Bein eines gebratenen Huhnes aufbricht, um an das letzte Fleisch zu gelangen. Ein erbärmlicher Schrei erklang aus dem Haus, begleitet mit dem panischen Kreischen eines neugeborenen Kindes, das sich nicht zu wehren weiß, gegen höllische Qualen.

Lestavi versuchte sich von dem alten Backsteinboden zu erheben, der bereits über und über mit schwarzer Asche bedeckt war. Er zwang seine Beine ihm zu gehorchen und kam zitternd zu stehen. Haltsuchend schwankte er einen Schritt zurück, trat auf ein Stück Holz, das vom Brand vollkommen morsch war und unter seinem Schritt knirschend zerbröselte.

 

Augenblicklich rutschte sein Bein nach hinten und zwang ihn in einen verkrampften Spagat, den er nur für ein kurzen Augenblick aufrecht erhalten konnte. Dann verdrehten sich seine Beine und er schlug mit seinen Knien der rechten Schulter und Gesichtshälfte auf dem Stein auf. Für einen Moment wurde alles schwarz um ihn herum, doch diese Gnade währte nicht lange genug, um ihm einen einfachen Tod zu schenken. Er lag mit der rechten Gesichtshälfte auf dem Boden, starrte, ohne eine Regung, geradeaus, sah Rauch, Ruß, Funken und Flammen durch die nächtliche Luft wirbeln.

Dann ein rennender Schemen, gedämpfte Schreie, die verzweifelnd nach dem Tod verlangten, einem Tod, der sie aus dieser Hölle befreien würde. Doch es kam keine Befreiung für Lestavi.

Sein ganzer Körper fühlte sich an, als wäre er dreimal in einer Mühle zerieben worden, ohne dabei soweit zerstört zu werden, dass er die Schmerzen nicht mehr fühlen konnte. Er spürte seine Lunge, die ihn nun nur noch durch kurze krächzende Luftzügen stoßweise am Leben hielt. Er spührte den Rauch in den Augen, der sie brennen ließ, wie in einer Gaskammer zur schau gestellte Artifakte. Er spührte das brennen der Haut am Nacken, wo ihm ein Flammenstoß den Kragen, Haaransatz und Haut versengt hatte.

Er spürte die Platzwunde an seiner rechten Wange und das warme Blut das langsam über sein Gesicht lief. Während er so da lag rotierten seine Gedanken langsam wie die Funken vor seinen Augen.

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Er war ein Genießer gewesen. Er hatte die stillen Momente ebenso genossen, wie die tosende Feier, den süßen Kuchen, ebenso wie den deftigen Braten, die geistreichen Worte seiner Lektüre, ebenso wie den brennenden Kuss seiner Liebhaberin. Zugegeben, den Kuss vielleicht doch ein kleines wenig mehr, aber er konnte mit Sicherheit sagen er hatte jeden Aspekt seines bisherigen Lebens genossen, ja er hatte es geliebt. Doch so viele weitere Aspekte hatten auf ihn gewartet, so vieles das er noch nie hatte kosten dürfen, doch was er stets, heimlich in seiner imaginären Liste im privaten Hinterzimmer seines Geistes verwahrt hatte. Auch wenn er es sich nie eingestehen wollte, so hatte er immer Angst gehabt vor dem Tod.

Es schien im stets so abwegig, keine weitere Chance zu bekommen, nicht am nächsten Morgen aufzuwachen, um weiter zu träumen oder mit ein wenig Glück und viel Willenskraft auch die Chance, diese Träume zu leben. Bitter schmeckten ihm nun die Tage, die er einfach nur verduselt hatte. Anderen beim Glückspiel zugesehen, anstelle sein eigenes Glück in die Hand zu nehmen. Anderen beim Liebesgespräch gelauscht, anstelle eigene Liebe zu entfachen und im feurigen Spiel langsam, wohlig schön verglühen zu lassen. Er musste unter Qualen schmunzeln, dass ihm hier inmitten einer in Flammen stehenden Stadt so viele Feuer-Methapern einfielen, surreal erschienen ihm seine Gedanken im Angesicht der näherkommenden Todes.

Unendlich langsam drehte er sich auf den Rücken. So schwarz erschien ihm dieser Himmel, der umkränzt wurde von emporreckenden Flammen, so dass es schien als würden die Flammen mit dem Schwarz tanzen, wie ein Liebespaar in seiner ersten Nacht.

 

Die gesamte Stadt brannte. Wie hatte das passieren können? Überraschenderweise erschienen Levista seine Gedanken erstaunlich klar. Er erinnerte sich wie er aufgewacht war auf dem ehemals schneebedeckten Boden am Hinterausgang einer Taverne, nach einer durchzechten Nacht, die er nicht hatte bezahlen können. Er fühlte, wie sich ein glühender Kloß in seinem Hals bildete, während er sich erinnerte wie häufig er davon geträumt hatte, einmal selbst reich zu sein, wie ein Fürst. Keine Sorgen um Essen, Getränke, herrliche Musik und reizende Gesellschaft zu haben. Sich zu kleiden in samtenden Gewändern, mal eng und körperbetont, mal weit und herrisch und anschließend in diesen Gewändern durch die weiten Hallen seines Palastes zu streiten. Jedem Menschen helfen zu können, dem er helfen wollte…

 

Als sich langsam die Gedanken aufdrängten, die er die ganze Zeit zu unterbinden versucht hatte, spürte er, wie sich in seinen ausgedörrten Augen erneut Tränen bildeten und seine Wangen hinab liefen. Bilder seiner Familie entstanden in ihm. Bilder seines häufig jähzornigen und gewalttätigen Vaters, seiner mahnenden, verräterischen, liebenden aber letztendlich enttäuschten Mutter und schließlich, schmerzhafter als alle körperlichen Peinigungen, die Bilder seiner jungen Schwester. Die Einzige, die zu ihm gehalten hatte, die trotz all seines Versagens irgendwie etwas Gutes in ihm gesehen hatte, die ihn tatsächlich noch hatte lieben können.

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Wie es ihnen wohl ergangen war, als das Feuer ausgebrochen war? Ein würgen kam aus seinem Hals, doch danach folgte nichts. Er versuchte diesen Gedanken zu verbannen, doch er drängte sich nur umso mehr auf, er sah seine Familie in den Flammen stehen, sah die kleine Oliv brennen, hörte sie schreinen… Seinen Namen schreien. „Bitte… bitte… bitte“, er sah durch den Schleier aus Tränen in den gnadenlos schwarzen Himmel. „Bitte lass sie quallos sterben. Ich flehe dich …“, dann versagte seine Stimme und die Laute gingen einer Mischung aus Würgen und Husten unter.

Er hatte keine Ahnung zu wem er gerade gesprochen hatte. Er wusste nicht wer hier in dieser gottesverlassenen, zum Tode gerichteten Stadt noch irgendeinen Fick geben würde, auf die Wünsche eines weiteren, halbtoten, am Boden liegenden Körper, der vor sich hin klagte. Was für ein scheiß Tod, dachte Lestiva ohne jede Regung auf seinem Gesicht, die Augen starr empor gerichtet in den sternlosen, glühend rot gefärbten Nachthimmel.

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